Sarkopenie und was man dagegen tun kann
Ein aus medizinischer Sicht zunehmendes Problem existiert gar nicht im deutschen Kassenabrechnungssystem – Sarkopenie: Die primär altersbedingte Abnahme der Muskelmasse – und was man dagegen tun kann.
Wir altersmäßig schon etwas Fortgeschrittenen schütteln gern mal den Kopf bei dem Hype um Körperkult junger Menschen, ihrem Streben nach Sixpack und Traumfigur, weil wir wissen, dass in unserem Kulturraum letztlich nicht Bizeps und Latissimus, sondern Verstand und Sensibilität zu beruflichem Erfolg und privatem Lebensglück führen. Das Fatale daran ist, das wir damit unsere eigene Bequemlichkeit begründen, während die anderen genau das tun, was wir eigentlich tun sollten – die Muskeln trainieren!
Warum soll man sich quälen?
So ungefähr ab dem 30. Lebensjahr beginnt der Körper heimlich, still und leise damit, Muskeln ab- und Fettgewebe aufzubauen – ein Alterungsprozess. Noch immer kennen wir nicht die genauen Ursachen und Zusammenhänge. Wir wissen jedoch, hat dieser Prozess erst einmal begonnen, verlieren wir ca. 1 Prozent, ab ca. 50 Jahren sogar 1,5 – 2 Prozent unserer Muskulatur pro Jahr. Folglich nimmt unser Muskelbestand zwischen dem 30. Und dem 80. Lebensjahr um 50-70 Prozent ab – es sein denn, man tut etwas dagegen.
Packen Sie es an!
Es ist nicht schwer nachzuvollziehen, worauf ich hinaus will. Zwei bis dreimal pro Woche eine Stunde Sport, Treppen laufen statt Fahrstuhl, Fahrrad statt Auto fahren, Laufen, Schwimmen, ein paar leichte Hanteln, eine Fitnessmatte. Bewegen kann man sich überall. Man muss es nur wollen! Und es ist nie zu spät damit anzufangen! Wenn Sie jetzt sagen, dass weiß ich doch schon alles, dann erlauben Sie die Frage: „Beherzigen Sie es auch?“
Nicht wegen der Optik
Mein Thema ist nicht „Gutes Aussehen im Alter“, wir reden hier über gesunde und kräftige Muskeln im fortgeschrittenen Alter, die den Körper im Gleichgewicht halten, ihm einen aufrechten Gang ermöglichen und ihn tief atmen lassen, damit genügend Sauerstoff das Gehirn durchblutet kann. All das hängt zusammen. Verlieren die Muskeln an Quantität und Qualität, so erhöht sich das Sturzrisiko massiv. Der Mensch wird träge, die Atmung flacher und die Pumpfunktion des Herzens nimmt ab. Auf der Abwärtsspirale des Alterns wird so rasch Fahrt aufgenommen.
Der deutsche Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) hat genau die Thematik „Bewegung ist Leben“ in das Zentrum seiner diesjährigen Vorträge gestellt. Studien belegen, dass ältere Menschen innerhalb 10 Tagen Aufenthalt im Bett 1,5 Kilogramm Muskelmasse abbauen! Und das Risiko solcher Krankenhausaufenthalte steigt angesichts der Tatsache, dass wir immer länger leben, gewaltig an.
Ältere Menschen, die unter fortschreitender Abnahme von Muskelmasse leiden,
- sind wesentlich labiler und anfälliger für akute Infekte;
- sind einem drastisch erhöhten Risiko für Stürze und damit verbundenen Verletzungen ausgesetzt;
- entwickeln häufig gleichzeitig eine Osteoporose;
- benötigen nach einer Erkrankung eine fast doppelt so lange Regenerationszeit.
Das Schlimme ist, zu viele Menschen nehmen das alles einfach so hin – Alter, ist eben so.
Nein, Alter ist nicht so!
Es handelt sich dabei um eine therapierbare Gesundheitseinschränkung und es gibt sogar einen medizinischen Begriff dafür: Sarkopenie. Damit bezeichnet man den mit fortschreitendem Alter zunehmenden Abbau von Muskelkraft und die damit einhergehenden funktionellen Einschränkungen des älteren Menschen. Die Genese der Sarkopenie hängt neben genetischen Faktoren auch vom Ausmaß der körperlichen Aktivität sowie der Ernährung ab. So begünstigt z.B. eine zu geringe Zufuhr von Energie, Eiweiß und Mikronährstoffen die Abnahme von Muskelmasse und Muskelkraft. Nach Schätzungen sind etwas 25-30 Prozent aller Über-75-Jährigen davon betroffen.
Das Fatale daran ist, es gibt nicht ausreichend genaue Zahlen, denn die Bedeutung dieses Prozesses für unsere alternde Gesellschaft wird völlig unterschätzt. Zum einen spielt Sarkopenie in der medizinischen Ausbildung kaum eine Rolle, zum anderen ist die Motivation unter den Medizinern, Patienten in diese Richtung zu beraten und zu behandeln nahe Null, weil es dafür keine Abrechnungsziffer gibt! Das Gleiche gilt für die Ernährungsberatung im Alter zur Vermeidung von Mangelernährung.
Das macht beide Themen, die im Übrigen oft eng miteinander verknüpft sind, aber nicht weniger brisant, zumal sie in Verbindung mit anderen Erkrankungen oder Operationen signifikant sowohl eine höhere Komplikationsrate als auch ein erhöhte Sterblichkeit begünstigen. Trotzdem wird in Deutschland kaum darüber diskutiert.
In den Niederlanden ist man da schon deutlich weiter. Dort ist das Screening auf Mangelernährung bei Krankenhauspatienten mittlerweile Pflicht. Wir sollten an dieser Stelle unbedingt nachziehen. Noch viel wichtiger wäre es jedoch, durch frühzeitige Beratung und Motivation Alterserscheinungen wie Sarkopenie und Mangelernährung vorzubeugen.
Information und Motivation an erster Stelle
Wir als Fachärzte für Orthopädie kennen das Problem und sehen uns in der Pflicht, lange bevor andere therapeutische Maßnahmen zur Erhaltung von Lebensqualität oder gar das Skalpell zum Einsatz kommen, unsere Patienten präventiv zu beraten und zu motivieren.
Tun Sie sich etwas Gutes und nehmen Sie diese Chance rechtzeitig wahr, denn es gibt inzwischen sehr spezielle Trainingsangebote für ältere Menschen, die deren körperlichen Zustand und deren Leistungsfähigkeit besonders berücksichtigen (z.B. das Stark-durch Langsam-Training SDL). Und schütteln Sie künftig nicht den Kopf, wenn junge Leute über ihr „Workout“ sprechen. Auch die werden irgendwann alt – und sie werden deutlich älter als wir. Und dann brauchen sie ihre Muskeln bzw. das was dann davon übrig ist.
Dr. A. Chinta
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