Das Signal aus der Schulter
Wenn schon Umarmungen und Händeschütteln zur schmerzhaften Qual werden, ist es höchste Zeit für einen Arztbesuch!
Viele Menschen über 40 kennen und fürchten den stechenden Schmerz in der Schulter. Was da schmerzt und unser beweglichstes Gelenk in seiner Funktion manchmal erheblich beeinträchtigt, steht fast immer in Verbindung mit der sogenannten Rotatorenmanschette, einer mützenartigen Sehnenplatte gebildet von vier Muskeln, die den Oberarmkopf in der flachen Gelenkpfanne des Schulterblattes hält und damit die extreme Beweglichkeit unseres Armes gewährleistet. Umarmungen und Händeschütteln werden zur Qual, einen Kasten Mineralwasser, selbst leichte Gewichte zu heben – unmöglich. Der Schaden an einem unserer wichtigsten Gelenke hat weitreichende Folgen: Jede Form körperlicher Aktivität wird eingeschränkt, an Sport ist nicht zu denken. Das später im Alter so wichtige Festhalten und Abstützen, um Stürze zu vermeiden, wird zur äußerst schmerzhaften Bewegung, die es zu vermeiden gilt. Die Folge: Abbau von Mobilität, Einschränkung von Sozialkontakten, Verlust an Lebensqualität.
Warum kommt es zu dem Schaden und was wird genau geschädigt? Häufigste Ursachen sind zu wenig Bewegung in der Schulter, Abbau der Muskulatur, degenerativer Verschleiß. Auch traumatische Ereignisse und Sportunfälle können diesen Schulterschaden hervorrufen. Was passiert genau in der Schulter? Die hohen, ständig auf diese Muskel-Sehnen-Platte einwirkenden physikalischen Kräfte können zu einem Riss (Rotatorenmanschettenruptur) führen, der oft mit Bandscheibenschäden an der Halswirbelsäule einher geht. Das „unrunde Laufen“ des Schultergelenks führt zu übermäßigem Abreiben der Sehnen und zur Verplumpung der am Schulterdach beteiligten Knochen. Die Folge ist ein „Impingement“, ein Einklemmen der Sehnen und Schleimbeutel zwischen Oberarmkopf und Schulterdach. Der Arm lässt sich nur noch schmerzhaft anheben und es entstehen chronische Reizzustände und Entzündungen bis hin zu Verkalkungen und dem Einreißen der Rotatorenmanschette. Die Funktion des Schultergelenks ist dann stark beeinträchtigt und es entwickelt sich eine schmerzhafte Arthrose.
Was ist zu tun, wenn die Diagnose „Rotatorenmanschettenruptur“ lautet? Man muss davon ausgehen, dass ca. 70% der über 70-jährigen Menschen unter einer degenerativen Schädigung der Rotatorenmanschette leiden. Die Behandlung richtet sich nach dem Ausmaß der Verletzung. Ist diese oberflächlich oder nur partiell, kann eine konservative Behandlung mit Krankengymnastik, Querfriktionsmassage und muskulärer Stabilisierung zur Ausheilung der Beschwerden führen. Besteht eine ausgedehntere Verletzung der Rotatorenmanschette, wird eine Operation notwendig. Eine Naht der Muskel-Sehnen-Platte ist heute in der Regel in endoskopischer Technik möglich, d. h. ambulante Versorgung, kein Krankenhausaufenthalt.
Frühzeitige Erkennung verhindert Folgeschäden. Nur bei größerem Ausmaß muss unter Umständen in offener Technik operiert werden, was für den Patienten jedoch wesentlich belastender ist. Die Diagnose ‘Rotatorenmanschettenriss’ sollte deshalb möglichst frühzeitig abgeklärt und versorgt werden, weil z. B. durch eine arthroskopische Erweiterung des Schulterdaches („subakromiale Dekompression“) ein Riss der Rotatorenmanschette möglicherweise sogar verhindert werden kann. Zur endoskopischen Rekonstruktion der Rotatorenmanschette können verschiedene Techniken zur Anwendung kommen. Nach einer ausgedehnten subakromialen Dekompression setzt man verschiedene Operationstechniken ein, um die Muskel-Sehnen-Platte in der Kontinuität wiederherzustellen und am Schulterknochen festwachsen zu lassen.
Auf die richtige Nachbehandlung kommt es an! Nach dem operativen Eingriff einer alleinigen Schulterdacherweiterung ist eine Ruhigstellung des Gelenks für ca. 5 Tage notwendig. Allerdings wird mit der passiven Beübung der Schulter im Rahmen der Krankengymnastik schon am zweiten Tag nach der OP begonnen. Bei einer einfachen Naht muss zur Nachbehandlung ein Abduktionskissen (siehe Abbildung) für ca. vier Wochen getragen werden. Ca. 6 Wochen lang dar f der Arm nicht aktiv seitlich abgespreizt werden. Stärkere Drehbewegungen der Schulter sind in dieser Zeit dringend zu vermeiden. Nach 6 Wochen beginnen dann aktive Übungen mit langsam steigendem Widerstand und zum Muskelaufbau. Als heilungsfördernd haben sich Injektionen mit Hyaluronsäure bewährt. Diese auch vom Körper selbst produzierte Substanz erhöht die Viskosität der Gelenkflüssigkeit, verbessert so die Gleitfähigkeit, den Stoffwechsel und Ernährung des Knorpels und der Sehnen, was schließlich deren Belastbarkeit erhöht. Mit einer solchen Behandlung sollte allerdings frühestens 4 bis 6 Wochen nach der Operation begonnen werden. Als sinnvolle ergänzende Maßnahmen zur Geweberegeneration haben sich Verfahren der Kernspinresonanztherapie (MBST) herausgestellt. Natürlich sind die mit einem Eingriff verbundenen Einschränkungen für den Patienten belastend. Es bedarf in dieser Zeit oft fremder Hilfe beim An-/Ausziehen, der Körperhygiene oder selbst beim Essen. Deshalb prüfen wir bei solchen Operationen bereits im Vorfeld, ob eine entsprechende häusliche Versorgung nach dem Eingriff gewährleistet ist und beraten und unterstützen bei der Organisation der Maßnahmen. Diese Probleme dürfen aber nicht grundsätzlich den notwendigen Eingriff verhindern, der – und darauf muss in aller Deutlichkeit hingewiesen werden – eine dauerhafte und irreparable Schädigung des Gelenks zu vermeiden hilft. Hier gilt es, die Dimensionen zu erkennen: In welchem Verhältnis stehen 6 Wochen körperliche Einschränkung im Vergleich zu jahrelangem Leiden und Immobilität?
Folgen und Risiken eines Eingriffs. Die größte Gefahr besteht in einem erneuten Riss der Manschette bzw. der gelegten Nähte. Eine strikte Einhaltung des vorgegebenen Nachbehandlungskonzepts ist deshalb unbedingt notwendig. Keine aktive Abspreizung und Außendrehung für sechs Wochen! Übermut darf nicht die Ausheilung der genähten Rotatorenmanschette gefährden. Je nach Rissgröße, Versorgungsart und Schulterbelastung im Beruf muss mit einer Arbeitsunfähigkeit von 2 bis 8 Wochen gerechnet werden. Bei schweren Belastungen der Schulter im Beruf oder bei Tätigkeiten mit großer Überkopfbeanspruchung kann die Arbeitsunfähigkeit auch länger dauern. Sportarten ohne große Armbelastung (Laufen, Fahrradfahren etc.) können in der Regel nach 6 bis 8 Wochen wieder ausgeübt werden. Vorsichtiger Beginn mit Sport mit Armeinsatz (Volleyball, Handball, Basketball, Tennis, Wurfdisziplinen etc.) ist bei gutem Muskelaufbau frühestens nach vier Monaten möglich. Nur selten, wenn z. B. starke degenerative Veränderungen der Rotatorenmanschette zum Zeitpunkt des Eingriffs vorhanden waren, kann es trotz OP zum weiteren Fortschreiten der Sehnenschädigung mit später erneuter Rissbildung kommen. Manchmal kann auch eine Kraftschwäche verbleiben. Ein individuelles Gespräch mit dem behandelnden Arzt ist dann unabdingbar.
Fazit: Die konservative und/oder operative Versorgung von Schultergelenkschäden durch Schulterdacheinengungen, Verkalkungen oder Riss der Rotatorenmanschette ist heute medizinisch kein großes Problem mehr. Ein Spezialist kann hier viel Gutes tun. Für eine dauerhafte Wiederherstellung der Schulter- und Armfunktionalität kommt es aber in besonderem Maß auf die möglichst frühzeitige Diagnosestellung und postoperative Betreuung an, die in engster Abstimmung zwischen Physiotherapeut und behandelndem Arzt erfolgen sollte. Achten Sie vor Ihrer Entscheidung für eine Therapie darauf, dass Ihnen dort ein breites therapeutisches Leistungsspektrum offen steht. Nur so kann gewährleistet werden, dass Ihre Beschwerden wirklich individuell versorgt werden. Ambesten ist jedoch die Vermeidung von Schäden durch geeignete Prävention. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt über gezielte Maßnahmen, die Ihrer persönlichen Lebenssituation gerecht werden.
Dr. A. Chinta
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Quelle Titelbild: Fotolia_138928913, Fotolia_60574476
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